„Es gab 2023 beinahe jeden Tag eine Tötung einer Frau in Deutschland.“- BKA Lagebericht 2023
Wie kann dieser Wert in der heutigen, vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft noch so hoch sein? Die Regierung nimmt das Thema zu wenig ernst. Hat die Politik versagt? Das Problem der Gewalt an Frauen, insbesondere die oft daraus folgenden Femizide, sollte doch längst bekannt sein?
In den sozialen Medien kursiert momentan die Aussage eine Rapperin und Mutter, Loredana
Adeyemi: „Frauen haben mehr Rechte als Männer.“.
Alle 3 Minuten wird in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen Opfer von häuslicher Gewalt.
Diese Zahl stieg im letzten Jahr um 5,6 Prozent. Jeden Tag werden über 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer eine Sexualstraftat. Im letzten Jahr gab es 938 versuchte oder vollendete Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen; 360 davon endeten tödlich, sprich fast jeden Tag. Die Mehrheit der Täter: Männer. Bei Vergewaltigung: 99 Prozent. Bei sexueller Belästigung: 99 Prozent. Bei Missbrauch von Minderjährigen oder Schutzbefohlenen: 96 Prozent. Jede dritte Frau in Deutschland erlebt physische oder sexualisierte Gewalt mindestens einmal in ihrem Leben. Frauen leisten täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. 29 Prozent der Mütter arbeiten in Vollzeit, 94 Prozent sind es bei den Vätern. In 62 Prozent der heterosexuellen Beziehungen tragen die Frauen den Großteil des „mental load“- mentale Last; nur in 20 Prozent macht das der Mann. Frauen werden seltener mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen diagnostiziert. Bei einem Herzinfarkt dauert es eine Stunde länger bis sie in der Notaufnahme landen. Ihre Schmerzen werden häufiger nicht ernst genommen oder als psychisch abgetan. In Dutzenden Telegram-Gruppen tauschen sich
70.000 Männer darüber aus wie sie Frauen betäuben und vergewaltigen können. Die Aufnahmen davon werden online geteilt. Frauen sind häufiger von Altersarmut betroffen. Sie verdienen im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer. Die Gleichstellung der Geschlechter ist global noch fünf Generationen entfernt. 134 Jahre.
Die Aufzählung dieser Fakten, ist nicht nur klarstellend in der Hinsicht, dass die Aussage von
L. Adeyemi faktisch falsch ist, sondern auch der Beweis dafür, dass die Aufzählung notwendig ist. Unsere Gesellschaft ist so unaufgeklärt, dass es eine absurde und falsche Aussage einer beliebten Influencerin braucht, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass diese Fakten existieren; dass diese Frauen existieren, die tatsächlich nicht nur benachteiligt sind in unzähligen Aspekten und Bereichen des Lebens, sondern auch täglich gefährdet sind.
Dass Frauen mehr Rechte hätten, als Männer, lenkt die Diskussion in eine völlig gefährliche Richtung und leider findet diese Aussage auch viele Unterstützer im Netz. Allein, dass es diese Aufzählung an Informationen braucht, wo Frauen betroffen vom Patriarchat und der Gesellschaft sind, zeigt, wie dringlich und grenzüberschreitend der Umgang mit Frauen ist.
Martina erzählt von ihren Erfahrungen: Die einjährige Beziehung endete mit einem extremen körperlichen Angriff. Die plötzliche und unerwartete Gewalt riss Martina aus dem Schlaf. „Er hat mich umgedreht, hat sich auf mich gehockt und mir mit den Fäusten ins Gesicht gehauen und die Nase gebrochen, die Rippen gebrochen, versucht mich zu ersticken“. Martina ist ins Bad geflüchtet, ihr Partner ihr hinterher. Dank einer aufmerksamen Nachbarin konnte die Situation mithilfe der benachrichtigten Polizei entschärft werden. Martina wartete ganze zwei Jahre auf den Gerichtsprozess.
Laut Monika Schröttle, Leitung des Forschungsbereichs ,,Gender, Behinderung, Menschenrechte und Gewalt* am Institut für empirische Soziologie, geraten Frauen schnell in die emotionale Abhängigkeit an ihren Partner. Sie erläutert, es gebe ein typisches Muster:
Frauen hätten oft das Gefühl, es sei der richtige Mann an ihrer Seite; dieser tue alles, was ein „idealer Traummann“ täte. Aus diesem Grund entstehe ein langes Festhalten am Partner.
So war es auch bei Martina, welche Hoffnungen hatte, es würde in der nicht nur toxischen, sondern auch gefährlichen Beziehung noch wie am Anfang sein können. Der Prozess zwischen der dröhnenden Liebesschenkung und der gewaltsamen Taten ist langsam und schleichend. „Ich habe immer gedacht, ich könnte das Ganze auffangen“, berichtet Martina.
Sie konnte ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen und hat mentale Schwierigkeiten davon tragen müssen. M. Schröttle erläutert, dass Männer von allen Bildungsschichten, mit und ohne Migrationshintergrund zu Tätern werden. Es sei ein schleichender Prozess, der sich durch immer mehr Kontrolle, Eifersucht, Dominanz und Besitzdenken steigere.
Das Urteil von Martinas Ex-Partner und Gewalttäter belief sich auf ein Jahr und drei Monate, die Haft musste er erst einige Monate nach dem Urteil antreten, sprich nicht unverzüglich.
„Ich werde mich von innen einschließen und beten, dass er nicht vorbeikommt“, sagt Martina verängstigt und weinend. So eine geringe Strafe, für so viel Leid, wie kann das sein?
Deutschlands Hilfsangebot: Frauenhäuser. Sie bieten eine geschützte Bleibe, bis es für die Beteiligten vor Gericht geht. Es besteht jedoch ein grundlegendes Problem: Es gibt zu wenig Plätze und das Ziel für den Ausbau sei noch weit entfernt, sagt die Frauenhausvorsitzende Passaus H. Stolper. Sie berichtet, dass sich fast täglich neue Betroffene melden, größtenteils ohne Erfolg. Es hätte über zwei ganze Jahre gedauert, bis die Genehmigung des Ausbaus auf fünf Plätze eingegangen ist. „Ich hab kein Vertrauen in die Politik, ich hab das Gefühl die lassen uns hängen.“, berichtet Stolper. Die Frauenhäuser in Deutschland sind auf Spenden angewiesen – es fehlt staatlichausgehende finanzielle Unterstützung. Dies erklärt die Enttäuschung aus der Seite der Helfenden und Betroffenen. Es ist nachvollziehbar, dass diese ihr Vertrauen in die Politik verloren haben, wenn die Unterstützung durch den Staat oft nicht ausreicht, um die notwendige Arbeit und den Schutz der Frauen sicherzustellen.
Frauenhäuser erfüllen eine essenzielle gesellschaftliche Funktion, indem sie Frauen, die von Gewalt betroffen sind, einen sicheren Zufluchtsort bieten. Sie tragen maßgeblich zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt und zur Unterstützung der Betroffenen bei. Platzmangel, hohe Arbeitsbelastung und mangelnde Unterstützung vermittelt, dass der Schutz vor Gewalt keine staatliche Priorität ist und gefährdet die Sicherheit und Zukunft der Betroffenen.
Man könne sich ein Beispiel an Spanien nehmen, die Vorreiter beim Kampf gegen Femizide.
Dank der Präventionsmaßnahmen- und Aufklärungsarbeit in unterschiedlichen Branchen kommt Spanien dem Ziel immer näher, Gewalt gegen Frauen zu beenden. Schulende Kurse stehen sogar in Lehrplänen; beauftragt durch das Ministerium für Gleichstellung. Diese sollen auch bei ablehnender Reflexion zum Nachdenken anregen, da diese Arbeit als Schlüssel für den Einsatz gegen Femizide gilt. Esther Silva, Gleichstllungsbeauftragte der Gemeinde Olivenza, Spanien, bekräftigt diese Regelung. Teilnehmer an den Kursen sollen die Rollenbilder hinterfragen. Insgesamt nehmen sie an 20 Stunden im Kurs sexualisierter Gewalt teil, welche vollständig von der Regierung finanziert werden. Durch diese Aufklärung trauen sich immer mehr Frauen, Widerfahrenes anzuzeigen und darüber zu sprechen. Der Staat schafft Sichtbarkeit für Femizide, beispielsweise durch vierteljährige Statistiken und Schutz für Frauen durch eine jährliche Unterstützung von 1 Milliarde Euro. Dieses Geld fließt auch in die Präventionsarbeit von E. Silva, die Sichtbarkeit durch Workshops und andere Aufklärungsstrategien schafft. Bereits im Unterricht wird das Thema Gewalt thematisiert durch Kampagnen in Jahrgängen von vier bis sechs. Die Aufklärungsarbeit zähle als Staatsaufgabe mit höchster Priorität, bekräftigt Silva.
Monika Schrötle kritisiert, In Deutschland gebe es schon 40 Jahre Arbeit, Gewalt gegen Frauen zu minimieren und diese Gewalt sei nicht zurückgegangen. Femizide sind in der Regel geplante Handlungen, kein spontaner Impulsausbruch, schlussfolgernd muss es doch eine Lösung geben, um die verbrecherisch hohen Zahlen von Femiziden zu senken. Auf die Frage an die deutsche Staatsregierung, dass hilfesuchenden sowie hilfsbedürftigen Frauen in Frauenhäusern immer weiter abgewiesen werden muss aufgrund von fehlenden Kapazitäten (pro Frauenhaus sind etwa 9 Plätze zur Verfügung gestellt), und ob da nicht etwas schief gelaufen sei, antwortet Ulrike Scharf, Bayrische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales: „Ich würde es nicht als „schiefgelaufen“ betrachten, sondern wir müssen einfach wissen, dass es unterschiedliche Zeiten und Situationen gibt und, dass die Nachfrage da ist {…}.“. Diese Antwort ist auf ein Problem gegeben worden, welches schon Jahrzehnte besteht und immer alarmierender wird. Die Nachfrage war schon lange da. Die einzelnen Kommunen seien für den Platz in Frauenhäusern verantwortlich, laut U. Scharf. Die Ampelparteien hatten beschlossen, Gewalt gegen Frauen stärker zu ahnden. Ein Gesetzentwurf schlägt vor, geschlechtsspezifische Tatmotive als Beispiele für menschenverachtende Beweggründe in die Liste strafverschärfender Umstände aufzunehmen. Der Begriff Femizid als Mord bleibt jedoch unberücksichtigt.
Dass Deutschland die Femizide in Deutschland nicht stark genug priorisiert, findet auch Martina. Sie macht ihre Geschichte öffentlich, weil für viele Menschen das Thema häusliche Gewalt tabu ist und sie so einen Austausch mit anderen Betroffenen ermöglicht. Sie möchte diesen Frauen Mut zusprechen und weiter aufklären. Während des Lesens von diesem Artikel sind der Statistik nach 2 Frauen und Mädchen Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt geworden.
Quellen
Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ 2023
Der alltägliche Mordversuch: Gewalt gegen Frauen I Doku I Br Story, Bayrischer Rundfunk
BMi: Pressemitteilung vom 18.11.2024. https://www.bmi.bund.de/
SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2024/11/lagebild-geschlechtsspezifische-gewalt.html
BMFSFJ: Formen der Gewalt erkennen. 19.11.2024.
https://www.bmfstj.de/bmfstj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/ formen-der-gewalt-erkennen-80642
Hans-Böckler-Stiftung: Auf einen Blick.
Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit.
https://www.boeckler.de/de/auf-einen-blick-17945-studien-zu-gleichstellung.und
geschlechtergerechtigkeit-21085.htm
Bakker, Julia 2019: Heart attack gender gap is costing women’s lives. https://www.bhf.org.uk/ what-we-do/news-from-the-bhf/news-archive/2019/september/heart-attack-gender-gap-is-costing-womens-lives
PharmaFakten: Gender Health Gap macht krank.
02.07.2023. https://pharma-fakten.de/newsgender-health-gap-macht-krank/
Tagesschau: VErgew-Itig€r-Netzwerk auf Telegram aufgedeckt. 18.12.2024.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/telegram-ko-tropfen-ver gewaltigung-netzwerk-100.html
Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. N016 vom 24. April 2024.
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_N016_12_63.html
Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 027 vom 18. Januar 2024. https://
www.destatis.de/DEl
Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_027_621.html
Weltwirtschaftsforum: News Release.
https://www3.weforum.org/docs/
WEF_GGGR24_Newa_Release_DE.pdf